Didis Bücherturm

Dienstag, 10. Januar 2017

Wozu sind Tagebücher gut?



Sind Tagebücher nicht längst veraltet? Es gibt doch facebook, twitter und all die vielen Blogs? Ist es nicht viel einfacher, im PC oder in der Cloud niederzulegen, was man nicht vergessen wollte?
Viele Autorinnen und Autoren schreiben aber immer noch ein Tagebuch per Hand - oft enthalten diese ihre Gedanken zur Welt, neue literarische Ideen und Entwürfe, Skizzen zu ihrem Alltag oder einfach nur alltägliche Erlebnisse und Gesprächsfetzen, die frisches Material für Szenen, Dialoge, Personenbeschreibungen oder für völlig neue Romanideen sind. Tagebücher sind ein wahrer Fundus fürs Schreiben, und hier haben sie ihre gute Berechtigung.
Neben verschiedenen Blogs habe ich auch lange Zeit Tagebücher geschrieben, diese aber vernichtet, als ich noch einmal geheiratet habe. Das alte Leben sollte aus meinem neuen verschwinden. Es war mir nebensächlich geworden. Heute tut es mir Leid, denn das Leben lässt sich ja nicht einfach wegpacken oder stellenweise abschalten. Und die wenigen wirklich persönlichen Dinge darin rechtfertigten eine Vernichtung nicht. Heute vermisse ich das Zurückblättern, das Erinnern, das Suchen nach Ereignissen, die ich in meinen Texten beschreiben will. Außerdem sind Tagebücher nicht nur etwas für mich selbst, sondern sie enthalten Gedanken und Ereignisse, die auch für die Nachwelt interessant und wertvoll sind. Ich habe z.B. gern in den veröffentlichten Tagebüchern von Max Frisch oder Henry David Thoreau gelesen - sie geben nicht nur Auskunft über die Erlebnis- und Gedankenwelt des jeweiligen Autors, sondern zeichnen auch ein Bild seiner Zeit.
 Doch was passiert mit meinen Tagebüchern, wenn ich mal nicht mehr bin? Meine Frau wird vielleicht hineinschauen und sie dann definitiv auf den Müll werfen, damit sie nicht unserem Kind in die Hände fallen, weshalb ich sie, neben meinem anderen Nachlass (oder Vorlass müsste ich jetzt erst einmal sagen), dem Literaturarchiv Ostwürttemberg vermacht habe, mit der Maßgabe, dass meine Tochter die Verwertungsrechte bekommt, sobald sie volljährig ist.
Foto: pixabay
 Speziell für Tagebücher gibt es aber noch eine andere Möglichkeit der Erhaltung: Das Deutsche Tagebucharchiv (LINK) sichert Tagebücher als Zeitzeugnisse und erschließt sie wissenschaftlich - ob es sich nun um Prominenz oder Privatleute handelt. Für Schriftsteller, die historisch schreiben, ein unermesslicher Fundus, aber zunehmend auch für Historiker, Soziologen etc. Schade, dass ich so viel vernichtet habe - das wäre eine Fundgrube für Psychologen (ganz besonders für Pubertätsforscher) gewesen. Nun, ich erachte meine persönlichen Tagebücher nicht als übermäßig wertvoll, zumal die Welt im Untergehen begriffen ist (Ozonloch, Erderwärmung, Polschmelze, Terrorismus, Trump), aber ich möchte, dass sie erhalten bleiben und dass die Zwei, die mich überleben, meine Tochter und meine Erinnerungen, irgendwann zusammenkommen.
Ich habe also ein persönliches Motiv, meine Tagebücher fortzuschreiben. Nicht jeden Tag, aber sporadisch, mit dem was mir wichtig ist oder was mich gerade privat beschäftigt. Ich schreibe mit der Hand, was hoffentlich später noch irgendwer lesen kann, und führe zudem noch ein Paralleltagebuch, eine Art "Zibaldone" (LINK), in dem ich Eindrücke, Gesprächsfetzen, Exposé-Entwürfe und selbst To-Do-Listen notiere. Was davon einen Wert für die Nachwelt hat? Wer weiß.