Didis Bücherturm

Samstag, 6. Juli 2019

In der Diedorfer "Buchecke"


Es war ein heißer Tag - immerhin 30°, auch noch am frühen Abend. Ob sich wohl in dieser Hitze jemand auf den Weg machte, um mich vorlesen zu hören? Ich war ein wenig zu früh in Diedorf und setzte mich einen Moment in den Bahnhofskiosk und trank eine Cola. Im Fernsehen lief ein Fußballspiel – und es sollte noch ein zweites kommen. Tödlich für Autorenlesungen!

Diedorf ist eine kleine Marktgemeinde am Rand des Naturparks „Westliche Wälder, idyllisch gelegen, an der Bahnstrecke Augsburg-Ulm. Es hat schätzungsweise zehntausend Einwohner, wenn man eingemeindete Vororte wie Anhausen, Biburg oder Willishausen mitrechnet. Der Ort wird von der stark befahrenen B 300 in zwei Hälften geteilt. An dieser Bundesstraße liegen einige Geschäfte, ein großes Wirtshaus mit Biergarten und gleich daneben die „Buchecke Diedorf“, eine für diese Gegend bedeutsame kulturelle Einrichtung, denn die nächsten Buchhandlungen gibt es erst wieder in Augsburg oder im 40km entfernten Krumbach.

Der Weg zur Buchhandlung war leicht zu finden, und ich wurde von den drei Inhaberinnen freundlich begrüßt. Es kamen doch einige interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer, es entwickelte sich sofort ein Gespräch – es gab tatsächlich Leute, die sich noch an meinen letzten Besuch vor zehn Jahren erinnerten du nachträglich ein damals gekauftes Buch signieren ließen. Ein wahrhaft treues Publikum!


Ich las Passagen aus „Schüssler und die verschwundenen Mädchen“, und ich spürte, wie gut einige der Kapitel gut ankamen, besonders, als am Ende noch interessierte Fragen und Anmerkungen kamen. Ein paar Leute kauften das Buch und ich signierte mehrere. Viel zu schnell war der Abend vorbei! Ich habe mich gefreut, mich bei den Leuten in Erinnerung gebracht und neue Freunde gefunden zu haben. Ich danke den Inhaberinnen für diesen angenehmen Abend.



Montag, 17. Juni 2019

In meinem Stadtteil

gegenüber der Kapellenschule





An manchen Tagen komme ich gar nicht zu meiner Arbeit. Da fülle ich Fragebögen für Behörden aus, schreibe Briefe, stelle Unterlagen zusammen und bin nach vier, fünf Stunden so erschöpft und verblödet, dass ich mich nicht mehr hinsetzen und an meinem Roman schreiben kann. Ich sollte hin und wieder an die frische Luft gehen - heute zum Beispiel mit Teresa zur Eisdiele… und dann zur Donauwörther Straße, quer durch die Mitte des dicht besiedelten Stadtteils, in dem auch noch viel gebaut wird. Doch erstaunlicherweise gibt es hier auch noch Grün, zum Beispiel vor den ehemaligen Siedlerhäusern im ganzen Viertel oder entlang des Hettenbachs. Zwei Stunden, in denen wir uns erholt haben (abzüglich 30 Minuten Warten an der Post…).
am Hettenbach, mitten in Oberhausen




Samstag, 15. Juni 2019

Ein Herzbuch


Eigentlich kann man heute keine Liebeslyrik mehr schreiben, hatte ich gedacht, oder jedenfalls nichts, was neu und originell ist. Das war ein Irrtum. Ich habe ein Buch bekommen, das ich allen, die lieben, empfehlen möchte, und allen, die sich danach sehnen. Es ist so voller Liebe und Glück und Gedichten, für jeden Tag eins und eins extra fürs Schaltjahr. Man kann es überall aufschlagen, von vorn und von hinten lesen, und man ist immer gleich mittendrin. Liebesgedichte, die manchmal kleine Geschichten sind und manchmal zugleich Überraschungsbonbons. Eine einfache, jedem zugängliche Sprache, manchmal an den bekannten Lyriker Jürgen Völkert-Marten erinnernd, und doch etwas ganz Eigenes, das auch so manches Kleinod an Witz und Erkenntnis birgt:

herzhaut

berührst du
meine haut 
erinnert sie
sich an uns

Kurz gesagt und so viel drin! Das ist das Geheimnis eines Ge-dichtes: Es verdichtet Erlebtes, Gefühltes, Erinnertes oder im Inneren Gesehenes in wenigen Worten: Es zeigt Bilder, schafft Assoziationen, bleibende Erinnerungen und frische Synapsen im Kopf des Lesers.
Ein weiteres Beispiel:

herzdienstag

der himmel sah
aus wie betupft
von küssen, die
uns nachflogen
aus allen städten
in denen die zeit
uns schnuppe war

Ein tolles Buch, ein tolles Geschenk (man braucht dann aber ein zweites Exemplar zum Behalten). Da kann man zum Beispiel einfach jeden Morgen nach dem Aufwachen eine SMS schicken, z.B. nur „90“ und der/die Andere schlägt auf und ist bei „herzhalm“, oder „222“ bei „herzstelle“. Da geht einem das Herz auf! Ein schönes Buch, ausgestattet mit festem Einband in leicht glitzerndem Herzchenrosa und Lesebändchen, das ich Euch gern ans Herz legen kann. Ergänzt werden die Gedichte durch ein schönes Vorwort von Alexander Häusser.

Günther Butkus: Herzband. Erhältlich bei Pendragon: http://www.pendragon.de/book/herzband/ (dort mit Leseprobe), 390 Seiten, 20,00 Euro

Oder z.B. hier: https://www.weltbild.de/artikel/buch/herzband_25571204-1 – und am besten natürlich bei Eurer Buchhandlung um die Ecke.

Meine Amazon-Kurzbesprechung dazu:
https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/RNJH4RETRTKSQ/ref=cm_cr_getr_d_rvw_ttl?ie=UTF8&ASIN=3865326471 (Bitte in euren Browser kopieren)





Samstag, 26. Januar 2019

Wir wollten nur Dich


Buchbesprechung

Ein Kind – das sollte die Erfüllung einer großen, tiefen Liebe sein, die Krönung des Glücks, das man mit Partnerin oder Partner teilt. Ein neuer Mensch, dem man ins Leben hilft und dem man die Erfahrungen des eigenen Lebens weitergibt (oder erspart). So sieht es im Idealfall aus. Aber es gibt viele Paare, die keine Kinder bekommen können, so sehr sie es auch versuchen – manchmal sogar mit fragwürdigen oder sogar illegalen medizinischen Methoden. Die Alternative wäre: Adoption. Einem elternlosen Kind ein neues Zuhause, ein warmes Nest zu bieten wäre doch etwas Wunderbares.

Auf den ersten Blick: Ja. Es gibt auch Tausende von Fällen, in denen das gut geht. Familien, die sich harmonisch ergänzen. Familien, in denen das Kind aufblüht, als wäre es darin geboren (und Eltern, die genauso empfinden) – bis hin zu dem Punkt, wo die Eltern sich nicht trauen zu sagen: „Du bist adoptiert, aber wir lieben dich (trotzdem).“ Meine Formulierung ist ambivalent – sie sagt, „Du bist willkommen, wir haben Dich uns gewünscht“, zeigt aber auch Vorbehalte auf – das ist ein Konflikt, den die Autorin Paula Henkels auf tragische Weise mitgemacht hat.

In anschaulichen Worten erzählt sie ihre Geschichte, einen Tatsachenbericht, der sich wie ein Roman liest. Man hätte am Anfang einfach nüchtern aufzählen können, wer alles zur ursprünglichen Familie gehört: Mutter, Vater, zwei Kinder - ein Mädchen, ein Junge. Doch es fängt an mit Bewegung, mit Aktion, mit Dialog, die Familie am Morgen, bevor es zur Schule und zur Arbeit geht. So wird man gleich in die Geschichte hineingezogen, hat Elemente, die man kennt und mit denen man sich gleich in der Geschichte heimisch fühlt. Das ist ganz professionell und gut. So versteht man den Entschluss, zu zwei eigenen Kindern noch ein drittes zu adoptieren, und wird mit erzählerischer Leichtigkeit über die behördlichen Klippen geführt, die sich aus diesem Wunsch ergeben. Es ist nämlich in Deutschland gar nicht so einfach, ein fremdes Kind zu adoptieren, und das aus gutem Grund – man muss die Ernsthaftigkeit schon unter Beweis stellen, muss gesund sein, ausreichend Platz und Einkommen haben, die künftigen Eltern müssen sich über ihren Wunsch einig sein. Das ist so gewollt, damit das Kind ein sicheres und gutes Zuhause hat, und damit niemand auf die Idee kommt, sich Pflege- oder Adoptivkinder des Geldes wegen anzuschaffen.

Die Ich-Erzählerin des Berichts hat das auch gar nicht vor. Sie bespricht ihr Vorhaben mit ihren Kindern (den künftigen Geschwistern), überzeugt ihren Mann und betritt dann den steinigen Weg, den das Jugendamt vorgibt. Erst ein anderes Kind in Kurzzeitpflege, um nachzuweisen, dass man wirklich in der Lage ist, sich richtig um ein Kind zu kümmern – als ob zwei eigene, gut geratene Kinder nicht genug Nachweis wären. Ich weiß nicht, ob es wirklich legitim ist, wenn Jugendämter so ein Experiment mit einem Pflegekind zu machen, denn wenn es schief geht, ist die Seele eines ohnehin geschädigten Kindes erst recht zerstört.

Aber hier geht es gut, und der Weg zum künftigen Adoptivkind ist frei. Jetzt heißt es warten, doch schließlich hält die Familie das Baby in den Armen. Es wird herzlich aufgenommen, es ist immerhin ein Wunschkind – dieses und kein anderes, das wissen alle vom ersten Moment an. Es muss einfach gut gehen.

Doch nach einiger Zeit, längst ist der Junge „integriert“, da zeigt sich, dass kein Kind, und sei es noch so klein, ohne Vergangenheit ist. Da ist die erste Vorerziehung, und wenn es nur Wochen oder Monate sind. Schäden in dieser Zeit bleiben vorerst unbemerkt, sitzen dann aber um so tiefgreifender, besonders, wenn sie sich mit dem genetischen Erbe der leiblichen Eltern verbinden. Erste Schwierigkeiten schleichen sich ein, zeigen sich mit den Jahren deutlicher und heftiger. Ich will hier nicht konkreter werden, um den Lesern nicht die Spannung zu nehmen, aber es zeigt sich hier ein großes Problem, das die Familie auf lange Sicht überfordert und sogar zu zerstören droht. Wie groß muss die Kraft und die Liebe einer Mutter sein, um das alles durchzustehen! Immer, wenn der Leser denkt, jetzt ist es geschafft, jetzt wird alles gut, da kommt es noch richtig dicke. Eine jahrelange Leidenszeit setzt ein, sogar über die Adoption hinaus, wenn man meint, jetzt kann es doch nicht mehr so schlimm kommen.

Paula Henkels hat den Weg zur Adoption sehr gut und kenntnisreich beschrieben, und es bleibt trotz der schwierigen Materie der Humor nicht auf der Strecke, zum Beispiel wenn wir Leser einen Besuch beim Gesundheitsamt miterleben dürfen, bei dem die Adoptionsbewerberin im Wartezimmer mitten zwischen lauter „Bordsteinschwalben“ platziert wird.

Alles in Allem ein gutes und wichtiges Buch, das allen ans Herz gelegt sei, die vorhaben, ein Kind zu adoptieren. Eine ernste Warnung davor, wie es kommen kann (aber nicht unbedingt muss!), zugleich eine Art Leitfaden, der hilft, das komplizierte Verfahren zu verstehen. Aber auch für diejenigen, die nicht daran denken, ein Kind zu adoptieren, ist dieses Buch geeignet, denn es liest sich wie ein spannender Roman mit vielen überraschenden Wendungen.

Redigiert hat dieses Buch übrigens Elsa Rieger, der an dieser Stelle auch ein großes Lob gebührt.

Paula Henkels: Wir wollten nur Dich. Taschenbuch, 9,90 Euro




Dienstag, 1. Januar 2019

Neues Jahr, neue Kraft

Euch allen ein frohes neues Jahr - Gesundheit, Ideen und Schaffenskraft wünsche ich Euch allen!

Bei mir ist Vieles liegen geblieben, und jetzt, in den stillen Tagen, habe ich aufgeräumt und Neues angefangen. Ich habe neue Aufträge, die alten noch nicht ganz erfüllt (Grund z.B. der Baulärm, der um mich herum gedröhnt hat - siehe untenstehenden Bericht), aber die Tage der Ruhe geben neue Kraft. An zwei Tagen habe ich bis mittags durchgeschlafen - 12 Stunden am Stück. Ich hoffe, Ihr habt die Möglichkeit, Euch auch gelegentlich so eine Auszeit zu gönnen.
So, und nun geht's an die letzte Phase meines Basel-Berichtes im Reiseblog. Wenn hier ein Link steht, ist er wohl endlich fertig. 

Donnerstag, 22. November 2018

Lärm und Arbeit

 Ich wohne in einer ruhigen Wohngegend. Umgeben von einem Friedhof auf der einen, einem Krankenhaus mit Pfarrgarten auf der anderen Seite, einem alten Spielplatz mit vielen schönen Bäumen, dahinter einige Privatgärten. Ich bin eigens hierhergezogen, weil mir am Stadtrand die Leute mit ihren Ganztags-Laubbläsern auf die Nerven gingen, ganz wie die Hobbybastler, die ihre Garagen und Balkone, Dachgauben und Geräteschuppen abwechselnd abreißen und neu bauen mussten und ständig dazwischen Rasen mähten oder Hecken köpften.


Mein selbst gewähltes Idyll dauerte nicht lange. Ein halbes Jahr später wurde gegenüber ein leerstehender Autosalon abgerissen. Das nahe Krankenhaus baute dort seine Kinderpsychiatrie neu auf. Erdaushub und Zertrümmerung des Betons dauerten nur ein paar Tage, der Bau einer Tiefgarage etwas länger. Dann kam daneben das Fundament, das offenbar besonders stabil sein musste. Dicke Betonwände wurden gegossen (das Röhren der Betonmischer klingt noch fast idyllisch in mir nach), dann kamen dicke Platten aus Stahl, mit denen die Wände verkleidet wurden (was hatten die bloß mit den armen Kindern vor?). Der weitere Ausbau ging relativ leise, wenn man das von einer Baustelle behaupten kann. Aber ich sagte ja auch relativ. Jedenfalls wurden dadurch die Geräusche der nahen ICE-Strecke und der benachbarten Industriebahn zum Gaswerk fast unhörbar. Schade. Bahngeräusche sind schließlich kein Lärm, sondern Romantik pur.

Als der kleine Krankenhausneubau fertig war und mir den Blick auf die Jugendstilfassade der alten Schuhfabrik verdeckte, war hier Frieden eingekehrt. Drei Tage oder so. Die nette Dame von oben aus dem Haus, die früh morgens draußen immer ihren LKW warmlaufen ließ (wegen der Bremshydraulik), war längst ausgezogen. Stille. Die Weihnachtsmusik aus Radio und Fernseher ließ sich abschalten. Ein paar Tage konnte ich in Frieden arbeiten.


Dann kehrte der Lärm zurück. Das Hauptgebäude des Krankenhauses wurde umgebaut, um ein paar Stockwerke erhöht, um Nebengebäude ergänzt (u.a. durch eine Pflegeschule, die man heute vom Dach des Gasometers und wahrscheinlich auch aus dem Weltraum wegen ihrer intensiv grünen Farbe sofort erkennen kann). Gleichzeitig begann daneben Erdaushub – oder eher Kies, der so schön von der Baggerschaufel in die leeren Transporter rasselt (die übrigens, wie auch alle anderen Baufahrzeuge, unter dem Fenster meines Arbeitszimmers entlangfuhren, mehrmals am Tag, jeweils hin und zurück). Tieflader brachten riesige Stahlmatten. Es kamen turmhohe Bohrmaschinen. Über mehrere Wochen wurden Löcher in den Grund gebohrt – wenn man ein Hochhaus, und das soll es ja noch werden, auf Kies baut, muss man es besonders tief und sozusagen „gründlich“ gründen. Das Bohrgeräusch (Stahl auf Kies) war wie beim Zahnarzt, nur lauter und durchmischt vom Lärm der Transporter.
Auf der anderen Seite des Hauses entstehen drei Wohnblöcke mit rund 40 Sozialwohnungen. Die katholische Kirche lässt bauen. Da wurde... ratet mal: gebaggert, gefahren, gehämmert, gesägt und so weiter. 

Da man gerade dabei war, wurden in den Nachbarstraßen Rohre und Leitungen für Gas und Glasfaser neu verlegt, die Gräben wieder zugeschüttet und mit einem Vibrationsstampfer verdichtet. Das gab Erschütterungen, die mir die Stecker aus den Steckdosen getrieben haben.

Am Krankenhaus-Neubau wird weiter betrieben, es gibt jetzt eine Baustellenampel, die die Autos (meist Busse und LKW) unter meinem Fenster halten und wieder anfahren lässt. Aber längst gibt es eine neue Lärmquelle: In diesem Haus wird ein kleiner Laden ausgebaut, und zwar direkt nebenan, Wand an Wand zu meinem Arbeitszimmer. Da wird gehämmert, gebohrt, gestemmt, gesägt, geklopft und Vieles mehr, und zwar ganztags, seit etwa acht Wochen. Tag für Tag. Manchmal glaube ich, jetzt ist der Handwerker endlich fertig, setze mich an den Schreibtisch – da hämmert es plötzlich von der anderen Seite an meine Wand, eine Kreissäge jubelt los, und draußen wird – rattatata - der Bodenverdichter vorbeigeschoben.

Ich leide darunter. Meine Arbeit leidet darunter. Es stehen mehrere Buchbesprechungen, ein Zeitschriftenartikel und ein Romanmanuskript aus. Ich muss nachts arbeiten, schlafe tagsüber aber kaum. 


Wie soll das weitergehen? Wo, weiß ich ja schon: Die Krankenhausbaustelle wird noch lange in Betrieb sein, und irgendwann wird dieses Großhospital auch eine Tiefgarage brauchen. Der Kinderspielplatz vor meinem Küchenfenster ist ideal für den Bau der Einfahrt.





Sonntag, 28. Oktober 2018

Fünfzehn Tage


Ein wahrhaft dickes Buch, das mir da auf den Tisch kam: „15 Tage“ von Rosemarie Benke-Bursian, das sie federführend zusammen mit Veronika Otto und Jonas Höbenreich schrieb – ein Krimi von rund 540 Seiten, zum Glück aber mit großzügigem Satzspiegel, so dass man es zügig lesen kann. Eingeteilt ist das Buch in fünfzehn Hauptkapitel („Tage“), und ich dachte zuerst, ich könnte jeden Tag eines dieser Hauptkapitel lesen, aber das hat aus verschiedenen Gründen, die zum Teil bei mir liegen, nicht hingehauen. War auch nicht schlimm.

Es geht in dem Roman darum, dass der fünfzehnjährige Leo verschwunden ist. Anfangs nehmen die Nachforschungen der Polizei nicht besonders viel Tempo auf, denn ein Fünfzehnjähriger kann überall sein – aber wo? Naturgemäß tappt die Polizei im Dunkeln. Zu vielfältig sind die Möglichkeiten. Je mehr die Polizei herausfindet, desto rätselhafter wird der Fall. Wo hält sich der Vermisste auf, und wer ist diese rätselhafte Tilda? Diese Frage geistert durch die gesamten Nachforschungen, aber auch hier ergeben sich immer neue erstaunliche Wendungen.

Da der Roman quasi in „Echtzeit“ geschrieben ist (daher der Titel – die Ermittlungen dauern so lange), muss der/die Leser(in) die Überlegungen mitmachen. Immerhin sind hier die Ansätze verankert, die später bei der Lösung eine wichtige Rolle spielen. Das gehört sich für einen guten Krimi. Die Hauptautorin ist als erstklassige Rechercheurin bekannt, und sie schildert die Abläufe und die diversen Anläufe bei der Polizei recht genau, und da kommt die Maschinerie halt schleppend in Gang. Das ist nun mal so in der Realität. Aber der Leser rätselt mit, und das ist gut so.

Doch dann passiert etwas Überraschendes, mit dem man überhaupt nicht gerechnet hat, und es wäre nicht nett von mir, diese Entdeckung hier zu verraten. Ab hier wird jedenfalls der Roman richtig spannend, es kommen ständig neue Wendungen hinzu, die zur Aufklärung führen – und zuvor zu neuen Rätseln. Insgesamt also eine realistische und spannende Erzählung, die ich mit leichten Anlaufproblemen mit zunehmender Spannung gelesen habe, bis hin zum fulminanten Schluss.

Die Geschichte spielt am Starnberger See, in Tutzing und zum Teil auch in Starnberg und Fürstenfeldbruck, aber es ist nicht unbedingt einer der üblichen Lokalkrimis, sondern kann auch ohne Abstriche anderswo gelesen werden. Ich würde ihn eher als Polizeikrimi lesen. Die ermittelnden Beamten, zunächst etwas farblos, werden zunehmend plastischer, was in etwa so realistisch ist, als würde man sie nach und nach persönlich kennenlernen. Gut gelöst.

Also, liebe Leser(innen), lasst Euch nicht nach wenigen Seiten frustrieren, auch wenn die Ermittler es zunächst sind. Sie haben immerhin Durchhaltevermögen, Neugier, Interesse und schließlich Tatkraft, um das Richtige zu tun, und sie lösen den Fall auch unter persönlichen Entbehrungen.

Die Aufmachung ist ansprechend, der Text gut lektoriert.

Es lohnt sich, diesen Roman zu lesen.

Rosemarie Benke-Bursian, Veronika Otto und Jonas Höbenreich: 15 Tage. Kriminalroman. Smart  & Nett Verlag, München, ISBN 978-3-946406-20-4, Hardcover, 22,90 €



Donnerstag, 30. August 2018

Zwei Empfehlungen


 In letzter Zeit habe ich eine Menge gelesen, unter anderem gleich zwei Romane von Andreas Kollender, die ich beide mit großer Begeisterung „verschlungen“ habe, das vorab. Mir gefällt nicht nur sein großartiger, flüssig lesbarer Stil, der auf billige Floskeln und auf jeden Manierismus verzichtet, mir gefällt auch die Art, wie er sorgfältig recherchierte Historie mit Sachverstand und Genauigkeit zu erzählen weiß, mit einer Spannung, die den Leser gleichsam durch die Geschichte „zieht“. 

In „Kolbe“ geht es um die historische Gestalt Fritz Kolbes, jenes kleinen Beamten aus dem Auswärtigen Amt, den die Amerikaner als einen ihrer größten Spione gegen die Nazis, als ihre Geheimwaffe gegen Hitler betrachtet hatten. Um den Mann, der immer wieder in die Schweiz reiste, um handschriftliche Abschriften geheimer Akten und Bleistiftkopien von Plänen überbrachte, angefertigt im Halbdunkel seiner Privatwohnung, jedes Mal unter der Gefahr, entdeckt und festgenommen zu werden. Man spürt die ständige Angst, die Todesangst, die damals auf den Menschen lag, auf denen, die nicht einverstanden waren und erst recht auf denen, die gegen die Nazis arbeiteten. Kolbe war darin ein Besessener, er musste tun, was er tat, selbst unter allergrößter Gefahr, und er hätte es nicht in diesem Ausmaß tun können, wenn es da nicht eine geliebte Frau gegeben hätte, die ihn voll und ganz unterstützte und ihn antrieb, wenn er verzweifeln wollte. Dass man Kolbe nach dem Krieg, zu dessem Ende er nicht unwesentlich beigetragen hatte, im Adenauer-Deutschland in Vergessenheit geraten ließ, bis er vereinsamt 1971 in der Schweiz starb, ohne jemals seine Anstellung im Auswärtigen Amt zurückerlangt zu haben, von einer Ehrung ganz zu schweigen, ist nicht die einzige Tragik, die die Gestalt Kolbes umgibt – da ist, zum Beispiel, auch noch die Geschichte der Tochter, die er im fernen Ausland unterbringen muss, um sie zu schützen – ohne zu wissen, ob sie ihm das jemals verzeihen wird.

Kolbe war ein fast vergessener Held, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis – Andreas Kollenders Roman hat wesentlich dazu beigetragen, ihn in das Bewusstsein der Menschen zurückzurufen. 


Der andere Roman von Andreas Kollender, den ich hier vorliegen habe, heißt „Von allen guten Geistern“ und erzählt eine nicht minder spannende Geschichte. Sie spielt in den 1860er Jahren und beschreibt eine entscheidende Phase der Psychiatrie im Umbruch von der Verwahrpsychiatrie zur Heilpsychiatrie.

Held des Romans (im wahrsten Sinne) ist der junge Ludwig Meyer, aus großbürgerlichem Hause, der an seiner Mutter merkwürdige Veränderungen bemerkt. Sie ist psychisch krank, was der strenge Vater, der Herr „Kommerzienrat“, als „Frauensache“ abtut. Vielleicht hat er recht, in einem ganz anderen Sinne allerdings, denn es ist eine Opferrolle, die die Mutter einnimmt: ein feinsinniger Geist, eingeengt von bürgerlicher Konvention, wie eine unsichtbare Zwangsjacke ganz besonderer Art. Es kommt wie es kommen muss – im eigenen Haushalt ruhiggestellt, Depressionen, Angstzustände („Frauensachen“ eben), dann vom Arzt (und vom Ehemann) in die Psychiatrie eingewiesen. Zwangsjacke. Die Redensart, die den Buchtitel bildet, wird normalerweise ergänzt um das Wort „verlassen“, und genau das ist es, was die bemitleidenswerte Frau ertragen muss und nicht kann, und die letzte Konsequenz ist ihr Tod.

Den jungen Ludwig Meyer, eine historische Figur, lassen diese Ereignisse nicht mehr los. Sensibel im positiven Sinn des Wortes beginnt er ein Studium der Psychiatrie mit dem Ziel, unglücklichen Menschen zu helfen. Er gerät in die Wirren der 1848er Revolution, kommt mit fortschrittlichen Ideen einer nichtrestriktiven Psychiatrie in Kontakt, spürt, dass nicht Zwang, sondern Verständnis und Freiheit den Kranken helfen kann. Jegliche Form der Unterdrückung lehnt er ab, erkennt er diese doch auch als mögliche Ursache für das Schicksal seiner Mutter.

Als angestellter Arzt ist er allerdings selbst Zwängen unterworfen, doch er schafft es, sich durchzusetzen und zum Leiter einer modernen Anstalt zu werden, die nach seinen Vorstellungen und Ideen sowie gegen allerhand Widerstände aufgebaut wird. Allgemein halten mächtige Leute (und Geldgeber) seine Vorstellungen und Methoden für abstrus und gefährlich. Eine der Schlüsselszenen des Romans ist der Verkauf sämtlicher Zwangsjacken auf einem Marktplatz.

Mehr will ich hier nicht verraten, außer, dass eine gewisse Fanny, Schauspielerin und sehr unabhängig, für ihn und sein Tun eine wichtige Rolle spielt. Etliche unkonventionelle Gestalten, zum Teil Patienten, machen diesen Roman, der ja einen sehr ernsten Hintergrund hat, zu einem Lesevergnügen der besonderen Art – ein Buch, das man durchaus mehrmals lesen kann, ohne sich zu langweilen.

Andreas Kollender: Kolbe. Pendragon Verlag, Klappenbroschur, 448 Seiten, PB,
Euro 16,99ISBN: 978-3-86532-489-4, http://www.pendragon.de/?s=Kolbe&x=0&y=0
Andreas Kollender: Von allen guten Geistern, Pendragon Verlag, http://www.pendragon.de/book/von-allen-guten-geistern/