In letzter
Zeit habe ich eine Menge gelesen, unter anderem gleich zwei Romane von Andreas
Kollender, die ich beide mit großer Begeisterung „verschlungen“ habe, das
vorab. Mir gefällt nicht nur sein großartiger, flüssig lesbarer Stil, der auf
billige Floskeln und auf jeden Manierismus verzichtet, mir gefällt auch die
Art, wie er sorgfältig recherchierte Historie mit Sachverstand und Genauigkeit
zu erzählen weiß, mit einer Spannung, die den Leser gleichsam durch die Geschichte
„zieht“.
In „Kolbe“
geht es um die historische Gestalt Fritz Kolbes, jenes kleinen Beamten aus dem Auswärtigen
Amt, den die Amerikaner als einen ihrer größten Spione gegen die Nazis, als
ihre Geheimwaffe gegen Hitler betrachtet hatten. Um den Mann, der immer wieder
in die Schweiz reiste, um handschriftliche Abschriften geheimer Akten und
Bleistiftkopien von Plänen überbrachte, angefertigt im Halbdunkel seiner
Privatwohnung, jedes Mal unter der Gefahr, entdeckt und festgenommen zu werden.
Man spürt die ständige Angst, die Todesangst, die damals auf den Menschen lag,
auf denen, die nicht einverstanden waren und erst recht auf denen, die gegen
die Nazis arbeiteten. Kolbe war darin ein Besessener, er musste tun, was er
tat, selbst unter allergrößter Gefahr, und er hätte es nicht in diesem Ausmaß
tun können, wenn es da nicht eine geliebte Frau gegeben hätte, die ihn voll und
ganz unterstützte und ihn antrieb, wenn er verzweifeln wollte. Dass man Kolbe
nach dem Krieg, zu dessem Ende er nicht unwesentlich beigetragen hatte, im
Adenauer-Deutschland in Vergessenheit geraten ließ, bis er vereinsamt 1971 in
der Schweiz starb, ohne jemals seine Anstellung im Auswärtigen Amt
zurückerlangt zu haben, von einer Ehrung ganz zu schweigen, ist nicht die
einzige Tragik, die die Gestalt Kolbes umgibt – da ist, zum Beispiel, auch noch
die Geschichte der Tochter, die er im fernen Ausland unterbringen muss, um sie
zu schützen – ohne zu wissen, ob sie ihm das jemals verzeihen wird.
Kolbe war
ein fast vergessener Held, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis – Andreas
Kollenders Roman hat wesentlich dazu beigetragen, ihn in das Bewusstsein der
Menschen zurückzurufen.
Der andere
Roman von Andreas Kollender, den ich hier vorliegen habe, heißt „Von allen
guten Geistern“ und erzählt eine nicht minder spannende Geschichte. Sie spielt
in den 1860er Jahren und beschreibt eine entscheidende Phase der Psychiatrie im
Umbruch von der Verwahrpsychiatrie zur Heilpsychiatrie.
Held des
Romans (im wahrsten Sinne) ist der junge Ludwig Meyer, aus großbürgerlichem
Hause, der an seiner Mutter merkwürdige Veränderungen bemerkt. Sie ist
psychisch krank, was der strenge Vater, der Herr „Kommerzienrat“, als
„Frauensache“ abtut. Vielleicht hat er recht, in einem ganz anderen Sinne
allerdings, denn es ist eine Opferrolle, die die Mutter einnimmt: ein
feinsinniger Geist, eingeengt von bürgerlicher Konvention, wie eine unsichtbare
Zwangsjacke ganz besonderer Art. Es kommt wie es kommen muss – im eigenen
Haushalt ruhiggestellt, Depressionen, Angstzustände („Frauensachen“ eben), dann
vom Arzt (und vom Ehemann) in die Psychiatrie eingewiesen. Zwangsjacke. Die
Redensart, die den Buchtitel bildet, wird normalerweise ergänzt um das Wort
„verlassen“, und genau das ist es, was die bemitleidenswerte Frau ertragen muss
und nicht kann, und die letzte Konsequenz ist ihr Tod.
Den jungen
Ludwig Meyer, eine historische Figur, lassen diese Ereignisse nicht mehr los.
Sensibel im positiven Sinn des Wortes beginnt er ein Studium der Psychiatrie
mit dem Ziel, unglücklichen Menschen zu helfen. Er gerät in die Wirren der
1848er Revolution, kommt mit fortschrittlichen Ideen einer nichtrestriktiven
Psychiatrie in Kontakt, spürt, dass nicht Zwang, sondern Verständnis und
Freiheit den Kranken helfen kann. Jegliche Form der Unterdrückung lehnt er ab,
erkennt er diese doch auch als mögliche Ursache für das Schicksal seiner
Mutter.
Als
angestellter Arzt ist er allerdings selbst Zwängen unterworfen, doch er schafft
es, sich durchzusetzen und zum Leiter einer modernen Anstalt zu werden, die
nach seinen Vorstellungen und Ideen sowie gegen allerhand Widerstände aufgebaut
wird. Allgemein halten mächtige Leute (und Geldgeber) seine Vorstellungen und
Methoden für abstrus und gefährlich. Eine der Schlüsselszenen des Romans ist
der Verkauf sämtlicher Zwangsjacken auf einem Marktplatz.
Mehr will
ich hier nicht verraten, außer, dass eine gewisse Fanny, Schauspielerin und
sehr unabhängig, für ihn und sein Tun eine wichtige Rolle spielt. Etliche
unkonventionelle Gestalten, zum Teil Patienten, machen diesen Roman, der ja
einen sehr ernsten Hintergrund hat, zu einem Lesevergnügen der besonderen Art –
ein Buch, das man durchaus mehrmals lesen kann, ohne sich zu langweilen.
Andreas Kollender: Kolbe. Pendragon Verlag, Klappenbroschur, 448 Seiten, PB,
Andreas Kollender: Von allen guten Geistern, Pendragon Verlag, http://www.pendragon.de/book/von-allen-guten-geistern/
Interview mit A. Kollender: https://leckerekekse.de/wordpress/blogparade-von-allen-guten-geistern-andreas-kollender/