Sind
Tagebücher nicht längst veraltet? Es gibt doch facebook, twitter und all die
vielen Blogs? Ist es nicht viel einfacher, im PC oder in der Cloud
niederzulegen, was man nicht vergessen wollte?
Viele
Autorinnen und Autoren schreiben aber immer noch ein Tagebuch per Hand - oft
enthalten diese ihre Gedanken zur Welt, neue literarische Ideen und Entwürfe,
Skizzen zu ihrem Alltag oder einfach nur alltägliche Erlebnisse und
Gesprächsfetzen, die frisches Material für Szenen, Dialoge,
Personenbeschreibungen oder für völlig neue Romanideen sind. Tagebücher sind ein
wahrer Fundus fürs Schreiben, und hier haben sie ihre gute Berechtigung.
Neben
verschiedenen Blogs habe ich auch lange Zeit Tagebücher geschrieben, diese aber
vernichtet, als ich noch einmal geheiratet habe. Das alte Leben sollte aus
meinem neuen verschwinden. Es war mir nebensächlich geworden. Heute tut es mir
Leid, denn das Leben lässt sich ja nicht einfach wegpacken oder stellenweise
abschalten. Und die wenigen wirklich persönlichen Dinge darin rechtfertigten
eine Vernichtung nicht. Heute vermisse ich das Zurückblättern, das Erinnern,
das Suchen nach Ereignissen, die ich in meinen Texten beschreiben will.
Außerdem sind Tagebücher nicht nur etwas für mich selbst, sondern sie enthalten
Gedanken und Ereignisse, die auch für die Nachwelt interessant und wertvoll
sind. Ich habe z.B. gern in den veröffentlichten Tagebüchern von Max Frisch
oder Henry David Thoreau gelesen - sie geben nicht nur Auskunft über die
Erlebnis- und Gedankenwelt des jeweiligen Autors, sondern zeichnen auch ein
Bild seiner Zeit.
Doch
was passiert mit meinen Tagebüchern, wenn ich mal nicht mehr bin? Meine Frau
wird vielleicht hineinschauen und sie dann definitiv auf den Müll werfen, damit
sie nicht unserem Kind in die Hände fallen, weshalb ich sie, neben meinem
anderen Nachlass (oder Vorlass müsste ich jetzt erst einmal sagen), dem
Literaturarchiv Ostwürttemberg vermacht habe, mit der Maßgabe, dass meine
Tochter die Verwertungsrechte bekommt, sobald sie volljährig ist.
Foto: pixabay |
Speziell
für Tagebücher gibt es aber noch eine andere Möglichkeit der Erhaltung: Das
Deutsche Tagebucharchiv (LINK) sichert Tagebücher als Zeitzeugnisse und
erschließt sie wissenschaftlich - ob es sich nun um Prominenz oder Privatleute
handelt. Für Schriftsteller, die historisch schreiben, ein unermesslicher Fundus,
aber zunehmend auch für Historiker, Soziologen etc. Schade, dass ich so viel
vernichtet habe - das wäre eine Fundgrube für Psychologen (ganz besonders für
Pubertätsforscher) gewesen. Nun, ich erachte meine persönlichen Tagebücher
nicht als übermäßig wertvoll, zumal die Welt im Untergehen begriffen ist (Ozonloch,
Erderwärmung, Polschmelze, Terrorismus, Trump), aber ich möchte, dass sie
erhalten bleiben und dass die Zwei, die mich überleben, meine Tochter und meine
Erinnerungen, irgendwann zusammenkommen.
Ich
habe also ein persönliches Motiv, meine Tagebücher fortzuschreiben. Nicht jeden
Tag, aber sporadisch, mit dem was mir wichtig ist oder was mich gerade privat
beschäftigt. Ich schreibe mit der Hand, was hoffentlich später noch irgendwer
lesen kann, und führe zudem noch ein Paralleltagebuch, eine Art
"Zibaldone" (LINK), in dem ich Eindrücke, Gesprächsfetzen, Exposé-Entwürfe
und selbst To-Do-Listen notiere. Was davon einen Wert für die Nachwelt hat? Wer
weiß.