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Viel Spaß!
Salomonische
Weihnacht
Zum
Jahreswechsel vom neunzehnten ins zwanzigste Jahrhundert feierten viele Menschen in Deutschland
nicht das neue Zeitalter, sondern betrauerten den Verlust der Achtzehn, die
rund hundert Jahre lang allen Jahreszahlen vorausgegangen war. Die Neunzehn war
manch einem im Kaiserreich unsympathisch – handelte es sich doch um eine
Primzahl, die sich dem preußischen Ordnungssinn widersetzte und sich weder
teilen noch irgendwo einsortieren ließ. Eine Primzahl als Beginn aller
Jahreszahlen des neuen Jahrhunderts forderte künftiges Chaos heraus, und das
alte war noch nicht einmal richtig verdaut. Dementsprechend gab es wenig
Feiern, aber mehr Gedenken.
Im Deutschen
Schutzgebiet auf den Salomoninseln östlich von Neuguinea war das nicht anders.
Man saß jedoch am Sylvesterabend in der Handelsstation beisammen und trank den
eigens zusammengebrauten Jahrhundertpunsch – mangels edler Weine aus dem
Rheingau hatte man diverse einheimische alkoholische Getränke mit lokalen
Obstsorten gemischt und damit ein einigermaßen schmackhaftes Getränk von zur
Zeit unbekannter Bekömmlichkeit zustande gebracht.
Ein
Jahrhundertpunsch war unerlässlich – daheim, also im Kaiserreich, trank man ihn
auf allen Sylvesterfeiern, zu Hause oder in den Bierhallen, mit köstlichen heimatlichen
Zutaten, die hier in den Kolonien nicht erhältlich waren.
Von Rohde,
der oberste Verwaltungsbeamte des nördlichen Salomon-Archipels, Stellvertreter
des deutschen Gouverneurs von Neuguinea und Ozeanien, hatte mit seiner Familie
den Sylvesterabend arrangiert – eingeladen war die gesamte Verwandtschaft des
Handelsbeauftragten Leyensieff, also er selbst und seine gerade erst
heiratsfähig gewordene Tochter, deren Kölner Akzent mehr an die deutsche Heimat
erinnerte als das kühle Hamburger "Missingsch" von Balthasar Bohnsack,
dem Besitzer der hiesigen Werft, die nichts weiter war als ein Stück
schlammiges Ufer, wo bisweilen irgendwelche seeuntüchtige Dampfschiffe, die
sich in diese am weitesten abgelegene aller deutschen Kolonien verirrt hatten,
Monate oder Jahre auf Ersatzteile warteten und meist bei deren Eintreffen
bereits verrottet waren. Außerdem war der junge Leutnant Friedrich Freiherr von
Templin anwesend, der zur Zeit der höchste Vertreter des Reichsheeres
vor Ort war.
Der junge Mann stand in dem Ruf, besonders hart gegen die Wilden im Landesinneren der Kolonie vorzugehen, und es gab das glaubhafte Gerücht, er habe die edelsten Teile eines selbst erlegten Menschenfressers vor den Augen von dessen Familie hemmungslos verzehrt, und zwar mit großem Genuss.
Der junge Mann stand in dem Ruf, besonders hart gegen die Wilden im Landesinneren der Kolonie vorzugehen, und es gab das glaubhafte Gerücht, er habe die edelsten Teile eines selbst erlegten Menschenfressers vor den Augen von dessen Familie hemmungslos verzehrt, und zwar mit großem Genuss.
Von Rohde hob
sein Glas, dass soeben vom splitternackt und lautlos dahinhuschenden Personal frisch
gefüllt worden war. Für diesen denkwürdigen Abend hatte er zu diesem Zweck die
Hauptfrau des Kannibalenhäuptlings und ihre beiden blutjungen Töchter persönlich
kommen lassen.
"Auf das
neue Jahrhundert", sagte er. "Möge es die Vergangenheit an Glanz
übertrumpfen. Lang lebe der Kaiser."
"Lang
lebe der Kaiser", kam das Echo aus allen Ecken der aus Palmstroh und dem
erst seit Kurzem in Gebrauch befindlichen Wellblech erbauten Residenz von
Rohdes, der hier den Kaiser repräsentierte und sich daher in den frommen Wunsch
einbezogen fühlte.
Von Rohde hielt
eine kurze Dankesrede und erinnerte daran, dass das Leben kurz sei, und ein
einzelnes Jahr ohnehin, auch wenn es gerade erst begonnen hatte. "Wir
müssen uns sogar bereits heute Gedanken machen, welche Geschenke wir zum
nächsten Weihnachtsfest verteilen wollen", sagte er. "Der Suezkanal
ist wieder mal von den Engländern für unsere Flotte gesperrt worden, und die Handelsschiffe
müssen um Südafrika herum. Und dann muss alles, was hierher kommt, erst vom
Zoll in Neuguinea genehmigt werden."
Er sah
Leyensieff an, und dieser betrachtete den Blick als Aufforderung, zu sprechen.
"In der Tat kommen wir nicht durch den Suezkanal."
"Das
heißt, Bestellungen für die nächste Weihnacht müssen jetzt aufgegeben
werden."
"Übermorgen",
meldete sich Alwine Leyensieff, gerade erst vierzehn und damit heiratsfähig
geworden, zu Wort. "Spätestens. Ich wünsche mir ein Eisbärenfell."
"Hier ist
es doch nicht kalt", erinnerte ihr Vater.
"Stimmt",
sagte sie. "Eher heiß, aber so ein Fell kühlt doch sicher im Sommer, wenn
es im Winter wärmt. Außerdem sind wir doch auf der Südhalbkugel, oder?"
Niemand
mochte dieser Frage nachgehen. "Ich überlege, was ich meiner Familie
schenke", sagte von Rohde. "Man muss es ja jetzt schon bestellen.
Vielleicht ein französisches Parfum für meine Frau. Es wird nicht einfach zu
beschaffen sein."
Gertrud von
Rohde rümpfte ziemlich unfein die Nase. "Französisch! Daraus mache ich mir
gar nichts. Statt Parfum hätte ich gern einen echt englischen Kaschmir-Shawl
mit Schottenmuster."
"Müssen
wir unsere Wünsche unbedingt mit Waren aus Feindesland erfüllen?", warf
Merklitz-Templin, der junge Leutnant, mehr vorwurfsvoll als fragend ein.
"Genügt nicht so etwas richtig Deutsches, zum Beispiel ein Töpfchen
Latschenkiefer-Fußbalsam aus dem Allgäu?"
"Und was
soll man hier damit?", kam eine Frage aus der Runde.
Es ergab sich
daraus eine angeregte Diskussion über sinnvolle Weihnachtsgeschenke in den
deutschen Kolonien. Nicht alles konnte man hier gebrauchen, aber fast alles
musste brieflich auf dem Seeweg in der Heimat bestellt werden und kam per
Schiffsfracht geliefert. Die Hälfte verschwand in den Taschen der diversen
Zollbeamten.
"Was bekommt
bei Ihnen eigentlich das Personal als Geschenk?", fragte Alwine Leyensieff
und versuchte, ein halbwegs erwachsenes Gesicht zu machen.
"Oh",
sagte von Rohde, "das ist nicht schwer. Die Nackten bekommen schicke
Baströckchen, wie sie in den Vereinigten Staaten für ihre kürzlich annektierten
Bürger in Hawaii produziert werden. Schwieriger ist es mit den anderen
Mitgliedern des Stammes, dessen Leute für uns arbeiten. Dafür müssen wir uns ja
dem ganzen Stamm erkenntlich zeigen. Ich denke, ich lasse eine Kiste kubanische
Zigarren aus Manila kommen. Der Medizinmann bekommt einen Handspiegel, mit dem
er seinen Tripper bestaunen kann, die Frau des Häuptlings wird mit einer
kostbaren Kette aus Muscheln bedacht, und der Häuptling selbst – na, das wissen
wir jetzt noch nicht. Das ist jedes Jahr die große Frage. Was schenkt man einem
Kannibalenhäuptling?" Er winkte seinen Butler heran, den einzigen
Einheimischen, der mit einem Frack behängt war – ohne Hose, denn damit hätte
man den Anblick seiner spitz zulaufenden Penishülle empfindlich gestört.
"Die geweihte Hostie hat ihm letztes Jahr offensichtlich nicht gefallen. Wird
Zeit, dass die Missionare, die sich hier herumtreiben, mal ihre Aufgabe
erfüllen. Es ist eine Beleidigung unserer Kultur, wenn der Leib Christi ausgerechnet
von einem Kannibalen als Köder zum Angeln verwendet wird."
"Das ist
nicht verwunderlich", sagte der Butler, der den wohlklingenden Namen Fürst
Bismarck zugeteilt bekommen hatte, weil man seinen einheimischen nicht
aussprechen konnte. Er zuckte mit seinem langen Penisrohr. "Nach einem
menschlichen Körper sah das nicht aus. Der Häuptling hätte lieber einen Braten,
da bin ich mir sicher. Immerhin ist das ein Geschenk, das ihm seit über zehn
Jahren vorenthalten wird. Ich darf erinnern, dass er Ihrem fremdartigen Volks-
und Stammesgemisch, das sich Deutsche nennt, ziemlich skeptisch gegenüber steht. Es
beleidigt ihn, dass Sie regelmäßig Ihre Familienmitglieder dem Satan als Opfer
darbringen, und er geht leer aus."
"Opfer?
Dem Satan? Wir?" Von Rohde war erstaunt, die übrigen Anwesenden entrüstet.
"Sie
machen doch keinen Hehl daraus", erwiderte Fürst Bismarck und hielt sein
erneut zuckendes Rohr in Brusthöhe mit der linken Hand fest. "ich habe
erst neulich persönlich gehört, wie Sie über Ihren jüngsten Sohn als
Satansbraten gesprochen haben. Wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, ist dieser
Sohn mit seinen zehn Jahren für unseren Häuptling schon zu alt. Ihm stehen
ausschließlich möglichst frische Milchknaben zu."
"Säuglinge?",
warf Alwine Leyensieff ein. "Igitt."
"Sie
essen doch auch Spanferkel", erwiderte Bismarck. "Was also ist der
Unterschied?"
"Da
haben Sie recht", erwiderte von Rohde. "Außerdem wäre es diplomatisch
ungeschickt, dem Häuptling sein Wunschgeschenk vorzuenthalten. Er soll seinen Säugling
bekommen, auch wenn ich jetzt noch nicht weiß, woher wir einen nehmen sollen. Der
Braten darf schließlich keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Eigene
Kinder wegzugeben liegt uns nicht, jedenfalls nicht in Friedenszeiten."
"Ein
Bastard würde ja reichen", erwiderte Fürst Bismarck und bohrte mit der
Spitze seines Penisrohrs nachdenklich in der Nase. "Eine Ihrer Damen
hier" – er sah die kleine Leyensieff intensiv an, so dass die Jungfer
zusammenzuckte – "könnte sich zur Verfügung stellen, und ich als Ihr ranghöchster
einheimischer Angestellter werde sie nach hiesigem Ritual befruchten."
Alwine
Leyensieff ergriff die Flucht, und ihr Vater folgte ihr. Von draußen drangen gezischelte
Worte wie "Lass dir doch erklären" und "du tust es für Kaiser
und Reich" in die weitläufige Hütte.
"Ich
glaube", sagte Bohnsack, "ich könnte das erledigen. Ich habe einen
dänischen Pass, da ich in Hamburg-Altona geboren bin. Vielleicht reicht das für
einen Bastard. Allerdings möchte ich keine noch heiratsgeeignete Dame
deflorieren. Vielleicht könnte Ihre Frau..."
"Nicht
mit Ihnen, Herr Bohnsack!", protestierte Gertrud von Rohde, die die ganze
Zeit schweigend dabei gesessen und eine uralte Aachener Printe zwischen den
Fingern zerkrümelt hatte. "Sie sah den Butler mit dem Namen Fürst Bismarck
an, ein wenig herrisch, was ohnehin ihr Naturell war. "Schicken Sie mir ab
morgen früh bis zum Aschermittwoch täglich einen ihrer Kannibalen hierher in
die Residenz, aber bitte erst, wenn er ausreichend gefrühstückt hat. Es müsste
dann klappen. Du bist doch einverstanden, Hansi?" Sie warf ihrem Mann, dem
stellvertretenden Gouverneur und Repräsentanten des Kaisers im größeren Teil
der Südsee, einen vielsagenden Blick zu.
"Aber
ja", erwiderte von Rohde. "Ich werde als dein Beschützer zugegen
sein, damit dir kein Leid geschieht. Ich nehme an, du wirst dafür den jungen
Leutnant hier sausen lassen."
Merklitz-Templin
knallte die Hacken zusammen, nickte mit dem Kopf wie ein frisch Guillotinierter
und sagte: "Ich trete selbstverständlich den Rückzug an, Herr Vizegouverneur."
Die Frau des
Angesprochenen schenkte ihm dafür ein Augenzwinkern, das ihn vermuten ließ,
darüber werde noch zu reden sein.
*
Es hatte
geklappt. Zwischen Neujahr und Ende Februar hatte Gertrud von Rohde mit nahezu
jedem männlichen Stammesmitglied, das nicht durch widrige Umstände mit einem
deutschen Pass belastet war, Zeugungssitzungen absolviert und war erfolgreich
mit einem Bastard trächtig geworden, den sie mittlerweile behutsam ausgetragen
hatte. Der frisch geborene Knabe bekam wöchentlich die üblichen Stammeszeichen
auf die Haut gemalt, allerdings nicht mit buntem Lehm, sondern mit importierten
Gewürzen. Er wurde gut genährt, an Gertruds germanischer Brust. Sie würde es
leicht schaffen, sich später von ihm zu trennen – er hatte eine eindeutig undeutsche
Hautfarbe und ein hässliches Menschenfressergesicht. Wenn man von ihm einem
Schrumpfkopf herstellte, wäre dieser kaum größer als eine Walnuss.
Die Übergabe
fand am folgenden Weihnachtstag in festlichem Rahmen statt, mit Fahnenappell, Nationalhymne,
Säbelgeklirr und zwei oder drei Reden. Zum Abschluss ertönte feierlich das
"Stille Nacht, Heilige Nacht", von den Kannibalen auf riesigen
Muscheln geblasen.
Der Bastard
schwieg die ganze Zeit, als wäre er bereits mariniert.
Später, als
die deutschen Kolonialherren sich in ihre europäische Anständigkeit
zurückgezogen hatten, saß der Kannibalenhäuptling mit seinen Ältesten zusammen,
um zu beraten, wie der Braten zubereitet werden sollte. Im Erdofen, auf dem
Grill oder als Eintopf – die Diskussion ging breit auseinander.
Der Häuptling
machte dem ein Ende, indem er sagte: "Ich werde ihn gar nicht verspeisen.
Und ihr bekommt euren Anteil in anderer Form. Wir ziehen ihn heran, geben ihm
gut zu essen und schicken ihn in den
Norden, nach Manila. Dort kann er auf dem Jesuiten-Seminar sein Abitur machen,
findet auf der Spanischen Universität genug Kontakt zu Revolutionären und kann
dann Chef der Volksfront für die Befreiung der Salomonen von der
Kolonialherrschaft werden."
"Das ist
gut", rief der Medizinmann begeistert aus. "Ich überlasse ihm dann
all meine Gifte und bösen Flüche."
"Und ich
schenke ihm meine Rente", sagte Fürst Bismarck.
"Und ich
werde mit Begeisterung zusehen, wie unsere selbst ernannten Herren sich darum
reißen, ihn ausbilden zu dürfen", erklärte der Häuptling. "Und das nur,
damit er später ihren Thron umstürzt."
"Aber
was willst du stattdessen zu Weihnachten essen?", fragte Fürst Bismarck.
Der Häuptling
zuckte mit den Schultern und seinem äußerst langen Penisrohr, das darauf ruhte.
"Du gibst mir am besten ein paar Bröckchen von deinem Vizegouverneur ab.
Den schaffst du eh nicht ganz allein."
*
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