Didis Bücherturm

Donnerstag, 30. August 2018

Zwei Empfehlungen


 In letzter Zeit habe ich eine Menge gelesen, unter anderem gleich zwei Romane von Andreas Kollender, die ich beide mit großer Begeisterung „verschlungen“ habe, das vorab. Mir gefällt nicht nur sein großartiger, flüssig lesbarer Stil, der auf billige Floskeln und auf jeden Manierismus verzichtet, mir gefällt auch die Art, wie er sorgfältig recherchierte Historie mit Sachverstand und Genauigkeit zu erzählen weiß, mit einer Spannung, die den Leser gleichsam durch die Geschichte „zieht“. 

In „Kolbe“ geht es um die historische Gestalt Fritz Kolbes, jenes kleinen Beamten aus dem Auswärtigen Amt, den die Amerikaner als einen ihrer größten Spione gegen die Nazis, als ihre Geheimwaffe gegen Hitler betrachtet hatten. Um den Mann, der immer wieder in die Schweiz reiste, um handschriftliche Abschriften geheimer Akten und Bleistiftkopien von Plänen überbrachte, angefertigt im Halbdunkel seiner Privatwohnung, jedes Mal unter der Gefahr, entdeckt und festgenommen zu werden. Man spürt die ständige Angst, die Todesangst, die damals auf den Menschen lag, auf denen, die nicht einverstanden waren und erst recht auf denen, die gegen die Nazis arbeiteten. Kolbe war darin ein Besessener, er musste tun, was er tat, selbst unter allergrößter Gefahr, und er hätte es nicht in diesem Ausmaß tun können, wenn es da nicht eine geliebte Frau gegeben hätte, die ihn voll und ganz unterstützte und ihn antrieb, wenn er verzweifeln wollte. Dass man Kolbe nach dem Krieg, zu dessem Ende er nicht unwesentlich beigetragen hatte, im Adenauer-Deutschland in Vergessenheit geraten ließ, bis er vereinsamt 1971 in der Schweiz starb, ohne jemals seine Anstellung im Auswärtigen Amt zurückerlangt zu haben, von einer Ehrung ganz zu schweigen, ist nicht die einzige Tragik, die die Gestalt Kolbes umgibt – da ist, zum Beispiel, auch noch die Geschichte der Tochter, die er im fernen Ausland unterbringen muss, um sie zu schützen – ohne zu wissen, ob sie ihm das jemals verzeihen wird.

Kolbe war ein fast vergessener Held, ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis – Andreas Kollenders Roman hat wesentlich dazu beigetragen, ihn in das Bewusstsein der Menschen zurückzurufen. 


Der andere Roman von Andreas Kollender, den ich hier vorliegen habe, heißt „Von allen guten Geistern“ und erzählt eine nicht minder spannende Geschichte. Sie spielt in den 1860er Jahren und beschreibt eine entscheidende Phase der Psychiatrie im Umbruch von der Verwahrpsychiatrie zur Heilpsychiatrie.

Held des Romans (im wahrsten Sinne) ist der junge Ludwig Meyer, aus großbürgerlichem Hause, der an seiner Mutter merkwürdige Veränderungen bemerkt. Sie ist psychisch krank, was der strenge Vater, der Herr „Kommerzienrat“, als „Frauensache“ abtut. Vielleicht hat er recht, in einem ganz anderen Sinne allerdings, denn es ist eine Opferrolle, die die Mutter einnimmt: ein feinsinniger Geist, eingeengt von bürgerlicher Konvention, wie eine unsichtbare Zwangsjacke ganz besonderer Art. Es kommt wie es kommen muss – im eigenen Haushalt ruhiggestellt, Depressionen, Angstzustände („Frauensachen“ eben), dann vom Arzt (und vom Ehemann) in die Psychiatrie eingewiesen. Zwangsjacke. Die Redensart, die den Buchtitel bildet, wird normalerweise ergänzt um das Wort „verlassen“, und genau das ist es, was die bemitleidenswerte Frau ertragen muss und nicht kann, und die letzte Konsequenz ist ihr Tod.

Den jungen Ludwig Meyer, eine historische Figur, lassen diese Ereignisse nicht mehr los. Sensibel im positiven Sinn des Wortes beginnt er ein Studium der Psychiatrie mit dem Ziel, unglücklichen Menschen zu helfen. Er gerät in die Wirren der 1848er Revolution, kommt mit fortschrittlichen Ideen einer nichtrestriktiven Psychiatrie in Kontakt, spürt, dass nicht Zwang, sondern Verständnis und Freiheit den Kranken helfen kann. Jegliche Form der Unterdrückung lehnt er ab, erkennt er diese doch auch als mögliche Ursache für das Schicksal seiner Mutter.

Als angestellter Arzt ist er allerdings selbst Zwängen unterworfen, doch er schafft es, sich durchzusetzen und zum Leiter einer modernen Anstalt zu werden, die nach seinen Vorstellungen und Ideen sowie gegen allerhand Widerstände aufgebaut wird. Allgemein halten mächtige Leute (und Geldgeber) seine Vorstellungen und Methoden für abstrus und gefährlich. Eine der Schlüsselszenen des Romans ist der Verkauf sämtlicher Zwangsjacken auf einem Marktplatz.

Mehr will ich hier nicht verraten, außer, dass eine gewisse Fanny, Schauspielerin und sehr unabhängig, für ihn und sein Tun eine wichtige Rolle spielt. Etliche unkonventionelle Gestalten, zum Teil Patienten, machen diesen Roman, der ja einen sehr ernsten Hintergrund hat, zu einem Lesevergnügen der besonderen Art – ein Buch, das man durchaus mehrmals lesen kann, ohne sich zu langweilen.

Andreas Kollender: Kolbe. Pendragon Verlag, Klappenbroschur, 448 Seiten, PB,
Euro 16,99ISBN: 978-3-86532-489-4, http://www.pendragon.de/?s=Kolbe&x=0&y=0
Andreas Kollender: Von allen guten Geistern, Pendragon Verlag, http://www.pendragon.de/book/von-allen-guten-geistern/ 

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