Mein selbst
gewähltes Idyll dauerte nicht lange. Ein halbes Jahr später wurde gegenüber ein
leerstehender Autosalon abgerissen. Das nahe Krankenhaus baute dort seine
Kinderpsychiatrie neu auf. Erdaushub und Zertrümmerung des Betons dauerten nur
ein paar Tage, der Bau einer Tiefgarage etwas länger. Dann kam daneben das
Fundament, das offenbar besonders stabil sein musste. Dicke Betonwände wurden
gegossen (das Röhren der Betonmischer klingt noch fast idyllisch in mir nach),
dann kamen dicke Platten aus Stahl, mit denen die Wände verkleidet wurden (was
hatten die bloß mit den armen Kindern vor?). Der weitere Ausbau ging relativ
leise, wenn man das von einer Baustelle behaupten kann. Aber ich sagte ja auch relativ. Jedenfalls wurden dadurch die
Geräusche der nahen ICE-Strecke und der benachbarten Industriebahn zum Gaswerk
fast unhörbar. Schade. Bahngeräusche sind schließlich kein Lärm, sondern
Romantik pur.
Als der
kleine Krankenhausneubau fertig war und mir den Blick auf die Jugendstilfassade
der alten Schuhfabrik verdeckte, war hier Frieden eingekehrt. Drei Tage oder
so. Die nette Dame von oben aus dem Haus, die früh morgens draußen immer ihren
LKW warmlaufen ließ (wegen der Bremshydraulik), war längst ausgezogen. Stille.
Die Weihnachtsmusik aus Radio und Fernseher ließ sich abschalten. Ein paar Tage konnte ich in Frieden arbeiten.
Dann kehrte
der Lärm zurück. Das Hauptgebäude des Krankenhauses wurde umgebaut, um ein paar
Stockwerke erhöht, um Nebengebäude ergänzt (u.a. durch eine Pflegeschule, die
man heute vom Dach des Gasometers und wahrscheinlich auch aus dem Weltraum
wegen ihrer intensiv grünen Farbe sofort erkennen kann). Gleichzeitig begann
daneben Erdaushub – oder eher Kies, der so schön von der Baggerschaufel in die
leeren Transporter rasselt (die übrigens, wie auch alle anderen Baufahrzeuge,
unter dem Fenster meines Arbeitszimmers entlangfuhren, mehrmals am Tag, jeweils
hin und zurück). Tieflader brachten riesige Stahlmatten. Es kamen turmhohe
Bohrmaschinen. Über mehrere Wochen wurden Löcher in den Grund gebohrt – wenn
man ein Hochhaus, und das soll es ja noch werden, auf Kies baut, muss man es
besonders tief und sozusagen „gründlich“ gründen. Das Bohrgeräusch (Stahl auf
Kies) war wie beim Zahnarzt, nur lauter und durchmischt vom Lärm der
Transporter.
Auf der anderen Seite des Hauses entstehen drei Wohnblöcke mit rund 40 Sozialwohnungen. Die katholische Kirche lässt bauen. Da wurde... ratet mal: gebaggert, gefahren, gehämmert, gesägt und so weiter.
Da man
gerade dabei war, wurden in den Nachbarstraßen Rohre und Leitungen für Gas und
Glasfaser neu verlegt, die Gräben wieder zugeschüttet und mit einem
Vibrationsstampfer verdichtet. Das gab Erschütterungen, die mir die Stecker aus
den Steckdosen getrieben haben.
Am
Krankenhaus-Neubau wird weiter betrieben, es gibt jetzt eine Baustellenampel,
die die Autos (meist Busse und LKW) unter meinem Fenster halten und wieder
anfahren lässt. Aber längst gibt es eine neue Lärmquelle: In diesem Haus wird
ein kleiner Laden ausgebaut, und zwar direkt nebenan, Wand an Wand zu meinem
Arbeitszimmer. Da wird gehämmert, gebohrt, gestemmt, gesägt, geklopft und
Vieles mehr, und zwar ganztags, seit etwa acht Wochen. Tag für Tag. Manchmal
glaube ich, jetzt ist der Handwerker endlich fertig, setze mich an den
Schreibtisch – da hämmert es plötzlich von der anderen Seite an meine Wand, eine
Kreissäge jubelt los, und draußen wird – rattatata - der Bodenverdichter
vorbeigeschoben.
Ich leide darunter. Meine Arbeit leidet darunter. Es stehen mehrere Buchbesprechungen, ein Zeitschriftenartikel und ein Romanmanuskript aus. Ich muss nachts arbeiten, schlafe tagsüber aber kaum.
Wie soll das
weitergehen? Wo, weiß ich ja schon: Die Krankenhausbaustelle wird noch lange in
Betrieb sein, und irgendwann wird dieses Großhospital auch eine Tiefgarage
brauchen. Der Kinderspielplatz vor meinem Küchenfenster ist ideal für den Bau
der Einfahrt.