Buchbesprechung
Ein Kind – das sollte die Erfüllung einer großen, tiefen
Liebe sein, die Krönung des Glücks, das man mit Partnerin oder Partner teilt.
Ein neuer Mensch, dem man ins Leben hilft und dem man die Erfahrungen des eigenen
Lebens weitergibt (oder erspart). So sieht es im Idealfall aus. Aber es gibt
viele Paare, die keine Kinder bekommen können, so sehr sie es auch versuchen –
manchmal sogar mit fragwürdigen oder sogar illegalen medizinischen Methoden.
Die Alternative wäre: Adoption. Einem elternlosen Kind ein neues Zuhause, ein
warmes Nest zu bieten wäre doch etwas Wunderbares.
Auf den ersten Blick: Ja. Es gibt auch Tausende von Fällen,
in denen das gut geht. Familien, die sich harmonisch ergänzen. Familien, in
denen das Kind aufblüht, als wäre es darin geboren (und Eltern, die genauso
empfinden) – bis hin zu dem Punkt, wo die Eltern sich nicht trauen zu sagen:
„Du bist adoptiert, aber wir lieben dich (trotzdem).“ Meine Formulierung ist
ambivalent – sie sagt, „Du bist willkommen, wir haben Dich uns gewünscht“,
zeigt aber auch Vorbehalte auf – das ist ein Konflikt, den die Autorin Paula
Henkels auf tragische Weise mitgemacht hat.
In anschaulichen Worten erzählt sie ihre Geschichte, einen
Tatsachenbericht, der sich wie ein Roman liest. Man hätte am Anfang einfach
nüchtern aufzählen können, wer alles zur ursprünglichen Familie gehört: Mutter,
Vater, zwei Kinder - ein Mädchen, ein Junge. Doch es fängt an mit Bewegung, mit
Aktion, mit Dialog, die Familie am Morgen, bevor es zur Schule und zur Arbeit
geht. So wird man gleich in die Geschichte hineingezogen, hat Elemente, die man
kennt und mit denen man sich gleich in der Geschichte heimisch fühlt. Das ist
ganz professionell und gut. So versteht man den Entschluss, zu zwei eigenen
Kindern noch ein drittes zu adoptieren, und wird mit erzählerischer Leichtigkeit
über die behördlichen Klippen geführt, die sich aus diesem Wunsch ergeben. Es
ist nämlich in Deutschland gar nicht so einfach, ein fremdes Kind zu adoptieren,
und das aus gutem Grund – man muss die Ernsthaftigkeit schon unter Beweis
stellen, muss gesund sein, ausreichend Platz und Einkommen haben, die künftigen
Eltern müssen sich über ihren Wunsch einig sein. Das ist so gewollt, damit das
Kind ein sicheres und gutes Zuhause hat, und damit niemand auf die Idee kommt,
sich Pflege- oder Adoptivkinder des Geldes wegen anzuschaffen.
Die Ich-Erzählerin des Berichts hat das auch gar nicht vor.
Sie bespricht ihr Vorhaben mit ihren Kindern (den künftigen Geschwistern),
überzeugt ihren Mann und betritt dann den steinigen Weg, den das Jugendamt vorgibt.
Erst ein anderes Kind in Kurzzeitpflege, um nachzuweisen, dass man wirklich in
der Lage ist, sich richtig um ein Kind zu kümmern – als ob zwei eigene, gut
geratene Kinder nicht genug Nachweis wären. Ich weiß nicht, ob es wirklich
legitim ist, wenn Jugendämter so ein Experiment mit einem Pflegekind zu machen,
denn wenn es schief geht, ist die Seele eines ohnehin geschädigten Kindes erst
recht zerstört.
Aber hier geht es gut, und der Weg zum künftigen Adoptivkind
ist frei. Jetzt heißt es warten, doch schließlich hält die Familie das Baby in
den Armen. Es wird herzlich aufgenommen, es ist immerhin ein Wunschkind –
dieses und kein anderes, das wissen alle vom ersten Moment an. Es muss einfach
gut gehen.
Doch nach einiger Zeit, längst ist der Junge „integriert“, da
zeigt sich, dass kein Kind, und sei es noch so klein, ohne Vergangenheit ist.
Da ist die erste Vorerziehung, und wenn es nur Wochen oder Monate sind. Schäden
in dieser Zeit bleiben vorerst unbemerkt, sitzen dann aber um so
tiefgreifender, besonders, wenn sie sich mit dem genetischen Erbe der
leiblichen Eltern verbinden. Erste Schwierigkeiten schleichen sich ein, zeigen
sich mit den Jahren deutlicher und heftiger. Ich will hier nicht konkreter
werden, um den Lesern nicht die Spannung zu nehmen, aber es zeigt sich hier ein
großes Problem, das die Familie auf lange Sicht überfordert und sogar zu
zerstören droht. Wie groß muss die Kraft und die Liebe einer Mutter sein, um
das alles durchzustehen! Immer, wenn der Leser denkt, jetzt ist es geschafft,
jetzt wird alles gut, da kommt es noch richtig dicke. Eine jahrelange
Leidenszeit setzt ein, sogar über die Adoption hinaus, wenn man meint, jetzt
kann es doch nicht mehr so schlimm kommen.
Paula Henkels hat den Weg zur Adoption sehr gut und
kenntnisreich beschrieben, und es bleibt trotz der schwierigen Materie der
Humor nicht auf der Strecke, zum Beispiel wenn wir Leser einen Besuch beim
Gesundheitsamt miterleben dürfen, bei dem die Adoptionsbewerberin im
Wartezimmer mitten zwischen lauter „Bordsteinschwalben“ platziert wird.
Alles in Allem ein gutes und wichtiges Buch, das allen ans
Herz gelegt sei, die vorhaben, ein Kind zu adoptieren. Eine ernste Warnung
davor, wie es kommen kann (aber nicht
unbedingt muss!), zugleich eine Art Leitfaden, der hilft, das komplizierte
Verfahren zu verstehen. Aber auch für diejenigen, die nicht daran denken, ein
Kind zu adoptieren, ist dieses Buch geeignet, denn es liest sich wie ein
spannender Roman mit vielen überraschenden Wendungen.
Redigiert hat dieses Buch übrigens Elsa Rieger, der an
dieser Stelle auch ein großes Lob gebührt.
Paula Henkels: Wir
wollten nur Dich. Taschenbuch, 9,90 Euro